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Völlig problemlos und mit unverminderter Freude gleite ich
durch das Winterhalbjahr. Bis zum 26. April 2005. Ein Streifenwagen
hupt zweimal, um mich zu stoppen. Der Beamte begehrt Einsicht in meinen
Versicherungsnachweis und in die Betriebserlaubnis. Als ich damit nicht
dienen kann erklärt er mir, das Fahren ohne
Haftpflichtversicherung sei eine Straftat. Er würde eine
Strafanzeige fertigen. Ungläubig frage ich zurück, ob er
Segways überhaupt kenne (er hatte schon mal davon gehört) und
erläutere ihm die wesentlichen Vorteile (in jeder Beziehung
praktisch: Leise, abgasfrei, platzsparend, wendig, umweltfreundlich und
last not least sicher). Ob er nun einsieht, dass es sich um ein
wünschenswertes Fortbewegungsmittel handelt? Und sich seine
Strafanzeige noch mal überlegt? NEIN! Er habe seinen Eid darauf
geschworen, jede Straftat auch zur Anzeige zu
bringen. Er habe überhaupt keinen Ermessensspielraum. Ob er
meine Gehhilfe für sinnvoll und verkehrssicher hält, sei
völlig unerheblich. Aha, ein treuer Staatsdiener, der sein
Handeln nicht davon abhängig macht, ob es auch nützlich
ist. Da erübrigt sich weitere Diskussion.
Eine Haftpflichtversicherung hätte ich liebend gerne. Darum
habe ich mich bereits vor zwei Jahren bemüht, wurde aber
abgewiesen. Nach mehreren Telefonaten und Faxen zwischen Niederlassung
und Zentrale stellte sich heraus, die HUK kennt das Importfahrzeug ohne
deutsche Zulassung nicht und weiss es auch nicht
einzugruppieren. Aktuelle Anfragen (auch über Makler) bei anderen
Haftpflichtversicherern führen zum gleichen Ergebnis. Alle lehnen
es ab, einen Segway HT unter
Vertrag zu nehmen. Mir wird also das Fehlen einer Versicherung
vorgeworfen, die man garnicht abschließen kann.
Erstmalig mit der Strafgerichtsbarkeit konfrontiert,
möchte ich keine Fehler machen
und bemühe lieber einen Rechtsanwalt. Der telefoniert mit der
Amtsanwältin und kommt mit ihr überein, dass das
öffentliche Interesse an der Verfolgung meines Vergehens nicht so
riesengroß ist. Von einer Anklage soll
abgesehen und das Verfahren eingestellt werden.
Die Sache wird offenbar nicht so heiß gegessen wie gekocht.
Außerdem kommen Länder, die fundierte technische und
rechtliche Prüfungen des Segways vornehmen, nicht zu dem Ergebnis,
daß es sich um ein (versicherungspflichtiges) Kraftfahrzeug
handelt. Beispiele sind Österreich, wo Segways offiziell als
Fahrrad gelten sowie die USA, die Segways nicht etwa als "motor
vehicle" klassifizieren, sondern als "EPAMD" (Electric Personal Assistive Mobility
Device). Dean Kamen und Segway LLC sprechen seit
Anbeginn vom "empowered pedestrian", denn aufgrund der
Balancierautomatik behält man als Segway-Benutzer die
Eigenschaften eines Fußgängers (Erscheinungsbild,
Manövrierfähigkeit, Platzbedarf...). Die Geschwindigkeit
lässt sich stufenlos an den langsamsten Fußgänger
anpassen und in keinem Fall über die eines menschlichen
Läufers steigern. Und da soll man in Deutschland rechtlich einem Quad-Fahrer
gleichgestellt sein? Schwer vorstellbar.
Also fahre ich wieder. Bis zum 16. Juni 2005. "Halten Sie doch mal
an" ruft es es aus der heruntergekurbelten Scheibe eines plötzlich
vorbeifahrenden Polizeifahrzeuges. "Zeigen Sie mal Ihr
Versicherungskennzeichen und die ABE!" (Allgemeine Betriebserlaubnis).
Ein bißchen besser vorbereitet als bei der ersten Begegnung
bezweifle ich, ein Kraftfahrzeug zu fahren und überhaupt einer ABE
oder Versicherung zu bedürfen. "Das ist ein Kraftfahrzeug" und
"wir sind hier nicht in Österreich" entgegnet mir Herr Kommissar
z.A. Schmitt in zunehmend gereiztem Tonfall. Meine Einlassung, die
Staatsanwaltschaft sei bereits mit der Angelegenheit befasst, einer
erneuten Anzeige bedürfe es
nicht, verfehlt völlig die beabsichtigte Beschwichtigungswirkung.
Herr Schmitt hält Rücksprache über Funk. (Daraufhin
kommt
ein
halbes dutzend Polizeifahrzeuge neugierig am Schauplatz des Geschehens
vorbeigefahren. Die Polizei parkt mitten auf der Fahrbahn, der
Verkehrsstau ist enorm). Die Schlußfolgerungen des jungen
Kommissars zur
Anstellung sind
niederschmetternd. Ich sei ein Wiederholungstäter. Er werde nun
"Maßnahmen zur
Verhinderung weiterer Straftaten" ergreifen.
"Sind Sie mit der Sicherstellung des
Fahrzeuges einverstanden"? Bin ich natürlich nicht. Daraufhin wird
mir eröffnet, mein Fahrzeug sei nun beschlagnahmt. Ob ich der
Beschlagnahme widersprechen wolle? Davon wird mir allerdings
abgeraten. Dann
würden eine richterliche und voraussichtlich auch gutachterliche
Überprüfung
eingeleitet. Da kämen hohe Kosten auf mich zu. Egal, ich will
das volle Programm.
Ein bißchen Buchstabierhilfe muss ich für das
Beschlagnahmeprotokoll noch leisten, Herr Schmitt ist sich zwar
absolut sicher, es mit einem Kraftfahrzeug zu tun zu haben, weiss aber
weder wie das Ding heißt, noch wie sich das schreibt.
Gern hätte ich (für diese Seite) das Einladen des Segways
in das Polizeifahrzeug fotografiert. "Wenn Sie hier fotografieren,
beschlagnahme ich auch gleich Ihre Kamera", werde ich barsch
zurückgewiesen.
Gedemütigt trete ich den Fußweg nach Hause an. Denke
darüber nach, wem dieser Freund und Helfer mit seiner Aktion wohl
einen Freundschaftsdienst erwiesen oder Hilfe geleistet hat. Finde
keine Antwort.
Notgedrungen beschäftige ich mich nun mit Verkehrsrecht.
Soviel glaube ich inzwischen verstanden zu haben: Kraftfahrzeuge
bedürfen in Deutschland einer Haftpflichtversicherung (§1
Pflichtversicherungsgesetz), damit eventuelle
Verkehrsopfer ihre finanziellen Ansprüche in jedem Fall
realisieren können. Das Fehlen einer solchen
Versicherung ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe
bedroht (§ 6 PflVG). Die Fahrzeuge können
eingezogen werden, d.h.
das Eigentum geht unumkehrbar auf den Staat über.
Die Versichernugsunternehmen müssen grundsätzlich jedes
KFZ versichern (§5 (2) PflVG). Segways besitzen
aber bisher keine EG-Typgenehmigung (laut EU-Kommission (Seite 1 unten) fallen sie nicht in den
Geltungsbereich der Typgenehmigung für Kraftfahrzeuge) und der
TÜV bescheidet auch Anträge auf
Einzelabnahme negativ, da vorgeschriebene Sicherheitskriterien (z.B.
das Vorhandensein einer mechanischen Bremse) unerfüllt sind. Somit
ist die gemäß §18 Abs. 3 StVZO erforderliche
Betriebserlaubnis nicht zu erwirken. Für die Versicherer der
Anlass, das dubiose Gefährt mit unbekanntem Unfallrisiko
zurückzuweisen. Im Ausland gibt es Segway-Haftpflichtversicherungen, die finden aber
vor dem deutschen
Gesetzgeber keine Gnade (§5 (1) PflVG).
Anders herum: Die Balancierautomatik des Segways erzwingt eine
elektronische
Regelung der Bremswirkung. Mit einer mechanische Bremse
fiele der Fahrer sofort auf die Nase. Ohne mechanische Bremse aber
keine Betriebserlaubnis. Und ohne Betriebserlaubnis keine Versicherung.
Und ohne
Versicherung Knast.
Der Regierungsvertreter "ist von den günstigen
Einsatzmöglichkeiten überzeugt", sieht aber keine
"Möglichkeiten für das Forcieren der
Zulassungsfähigkeit". Politiker, die Mobilitätsoffensive
und Technologieförderung zu den erklärten Zielen ihrer
Politik
ausrufen, lassen gleichzeitig innovative Fahrzeugkonzepte an
veralteten Bau- und
Betriebsvorschriften scheitern. Kein Wunder, wenn sich unsere
Stillstandsrepublik zum Schlußlicht entwickelt.
Weltweit fährt eine fünfstellige Anzahl an Segways
regelmäßig im öffentlichen Verkehr, ohne dass dies ein
Problem für die Verkehrssicherheit darstellt. Die Mehrzahl der
europäischen Nachbarländer erlaubt die Segway-Nutzung. In
Deutschland unmöglich, da "die Straßenverkehrsordnung dem
Fahrzeug keine Verkehrsflächen zuweist". Bei Sightseeing-Touren in
Wien,
Paris,
Amsterdam und Stockholm gleiten Besucher völlig legal auf
Segways durch die Stadt. In Berlin wären sie kriminelle
Straftäter.
Ende September 2005. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft hat
die Beschlagnahme aufgehoben und das Strafverfahren gegen die Auflage,
€200 an die Landeskasse zu überweisen, eingestellt. Und nach
mehreren erfolglosen Versuchen fand ich eine Versicherungsagentur, die
meinen Segway als Mofa einstuft und unter Vertrag nahm. Ich fahre also
wieder und das mit einer Haftpflicht-Versicherung gemäß
§1 Pflichtversicherungsgesetz und offiziellem
Versicherungskennzeichen!