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Stand: 27.09.2005


Die Straftat

Völlig problemlos und mit unverminderter Freude gleite ich durch das Winterhalbjahr. Bis zum 26. April 2005. Ein Streifenwagen hupt zweimal, um mich zu stoppen. Der Beamte begehrt Einsicht in meinen Versicherungsnachweis und in die Betriebserlaubnis. Als ich damit nicht dienen kann erklärt er mir, das Fahren ohne Haftpflichtversicherung sei eine Straftat. Er würde eine Strafanzeige fertigen. Ungläubig frage ich zurück, ob er Segways überhaupt kenne (er hatte schon mal davon gehört) und erläutere ihm die wesentlichen Vorteile (in jeder Beziehung praktisch: Leise, abgasfrei, platzsparend, wendig, umweltfreundlich und last not least sicher). Ob er nun einsieht, dass es sich um ein wünschenswertes Fortbewegungsmittel handelt? Und sich seine Strafanzeige noch mal überlegt? NEIN! Er habe seinen Eid darauf geschworen, jede Straftat auch zur Anzeige zu bringen. Er habe überhaupt keinen Ermessensspielraum. Ob er meine Gehhilfe für sinnvoll und verkehrssicher hält, sei völlig unerheblich. Aha, ein treuer Staatsdiener, der sein Handeln nicht davon abhängig macht, ob es auch nützlich ist. Da erübrigt sich weitere Diskussion.

Eine Haftpflichtversicherung hätte ich liebend gerne. Darum habe ich mich bereits vor zwei Jahren bemüht, wurde aber abgewiesen. Nach mehreren Telefonaten und Faxen zwischen Niederlassung und Zentrale stellte sich heraus, die HUK kennt das Importfahrzeug ohne deutsche Zulassung nicht und weiss es auch nicht einzugruppieren. Aktuelle Anfragen (auch über Makler) bei anderen Haftpflichtversicherern führen zum gleichen Ergebnis. Alle lehnen es ab, einen Segway HT unter Vertrag zu nehmen. Mir wird also das Fehlen einer Versicherung vorgeworfen, die man garnicht abschließen kann.

Erstmalig mit der Strafgerichtsbarkeit konfrontiert, möchte ich keine Fehler machen und bemühe lieber einen Rechtsanwalt. Der telefoniert mit der Amtsanwältin und kommt mit ihr überein, dass das öffentliche Interesse an der Verfolgung meines Vergehens nicht so riesengroß ist. Von einer Anklage soll abgesehen und das Verfahren eingestellt werden.

Die Wiederholungstat

Die Sache wird offenbar nicht so heiß gegessen wie gekocht. Außerdem kommen Länder, die fundierte technische und rechtliche Prüfungen des Segways vornehmen, nicht zu dem Ergebnis, daß es sich um ein (versicherungspflichtiges) Kraftfahrzeug handelt. Beispiele sind Österreich, wo Segways offiziell als Fahrrad gelten sowie die USA, die Segways nicht etwa als "motor vehicle" klassifizieren, sondern als "EPAMD" (Electric Personal Assistive Mobility Device). Dean Kamen und Segway LLC sprechen seit Anbeginn vom "empowered pedestrian",  denn aufgrund der Balancierautomatik behält man als Segway-Benutzer die Eigenschaften eines Fußgängers (Erscheinungsbild, Manövrierfähigkeit, Platzbedarf...). Die Geschwindigkeit lässt sich stufenlos an den langsamsten Fußgänger anpassen und in keinem Fall über die eines menschlichen Läufers steigern. Und da soll man in Deutschland rechtlich einem Quad-Fahrer gleichgestellt sein? Schwer vorstellbar.

Also fahre ich wieder. Bis zum 16. Juni 2005. "Halten Sie doch mal an" ruft es es aus der heruntergekurbelten Scheibe eines plötzlich vorbeifahrenden Polizeifahrzeuges. "Zeigen Sie mal Ihr Versicherungskennzeichen und die ABE!" (Allgemeine Betriebserlaubnis). Ein bißchen besser vorbereitet als bei der ersten Begegnung bezweifle ich, ein Kraftfahrzeug zu fahren und überhaupt einer ABE oder Versicherung zu bedürfen. "Das ist ein Kraftfahrzeug" und "wir sind hier nicht in Österreich" entgegnet mir Herr Kommissar z.A. Schmitt in zunehmend gereiztem Tonfall. Meine Einlassung, die Staatsanwaltschaft sei bereits mit der Angelegenheit befasst, einer erneuten Anzeige bedürfe es nicht, verfehlt völlig die beabsichtigte Beschwichtigungswirkung. Herr Schmitt hält Rücksprache über Funk. (Daraufhin kommt ein halbes dutzend Polizeifahrzeuge neugierig am Schauplatz des Geschehens vorbeigefahren. Die Polizei parkt mitten auf der Fahrbahn, der Verkehrsstau ist enorm). Die Schlußfolgerungen des jungen Kommissars zur Anstellung sind niederschmetternd. Ich sei ein Wiederholungstäter. Er werde nun "Maßnahmen zur Verhinderung weiterer Straftaten" ergreifen.

Die Beschlagnahme

 "Sind Sie mit der Sicherstellung des Fahrzeuges einverstanden"? Bin ich natürlich nicht. Daraufhin wird mir eröffnet, mein Fahrzeug sei nun beschlagnahmt. Ob ich der Beschlagnahme widersprechen wolle? Davon wird mir allerdings abgeraten. Dann würden eine richterliche und voraussichtlich auch gutachterliche Überprüfung eingeleitet. Da kämen hohe Kosten auf mich zu. Egal, ich will das volle Programm.

Ein bißchen Buchstabierhilfe muss ich für das Beschlagnahmeprotokoll noch leisten, Herr Schmitt ist sich zwar absolut sicher, es mit einem Kraftfahrzeug zu tun zu haben, weiss aber weder wie das Ding heißt, noch wie sich das schreibt.

Gern hätte ich (für diese Seite) das Einladen des Segways in das Polizeifahrzeug fotografiert. "Wenn Sie hier fotografieren, beschlagnahme ich auch gleich Ihre Kamera", werde ich barsch zurückgewiesen.

Gedemütigt trete ich den Fußweg nach Hause an. Denke darüber nach, wem dieser Freund und Helfer mit seiner Aktion wohl einen Freundschaftsdienst erwiesen oder Hilfe geleistet hat. Finde keine Antwort.

Die Rechtslage

Notgedrungen beschäftige ich mich nun mit Verkehrsrecht. Soviel glaube ich inzwischen verstanden zu haben: Kraftfahrzeuge bedürfen in Deutschland einer Haftpflichtversicherung (§1 Pflichtversicherungsgesetz), damit eventuelle Verkehrsopfer ihre finanziellen Ansprüche in jedem Fall realisieren können. Das Fehlen einer solchen Versicherung  ist mit einer einjährigen Freiheitsstrafe bedroht (§ 6 PflVG). Die Fahrzeuge können eingezogen werden, d.h. das Eigentum geht unumkehrbar auf den Staat über.

Die Versichernugsunternehmen müssen grundsätzlich jedes KFZ versichern (§5 (2)  PflVG).  Segways besitzen aber bisher keine EG-Typgenehmigung (laut EU-Kommission (Seite 1 unten) fallen sie nicht in den Geltungsbereich der Typgenehmigung für Kraftfahrzeuge) und der TÜV bescheidet auch Anträge auf Einzelabnahme negativ, da vorgeschriebene Sicherheitskriterien (z.B. das Vorhandensein einer mechanischen Bremse) unerfüllt sind. Somit ist die gemäß §18 Abs. 3 StVZO erforderliche Betriebserlaubnis nicht zu erwirken. Für die Versicherer der Anlass, das dubiose Gefährt mit unbekanntem Unfallrisiko zurückzuweisen. Im Ausland gibt es Segway-Haftpflichtversicherungen, die finden aber vor dem deutschen Gesetzgeber keine Gnade (§5 (1) PflVG).

Anders herum: Die Balancierautomatik des Segways erzwingt eine elektronische Regelung der Bremswirkung. Mit einer mechanische Bremse fiele der Fahrer sofort auf die Nase. Ohne mechanische Bremse aber keine Betriebserlaubnis. Und ohne Betriebserlaubnis keine Versicherung. Und ohne Versicherung Knast.

Wie läßt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Der Irrtum liegt offenbar bei den Zulassungskriterien. Die stammen aus dem vergangenen Jahrtausend und berücksichtigen weder die Möglichkeiten moderner Elektronik noch die besonderen Anforderungen selbstbalancierender Fahrzeuge. An den aktuellen Stand der Technik angepasste Vorschriften müssen her!

Die Politik

Da ist die Politik gefordert. Ich schreibe an Bundesverkehrsminister Dr. Stolpe. Der Referatsleiter S32 im Verkehrsministerium, Herr Andreas Marqwardt, kennt die Problematik. Seine Antwort in Kürze: "Die Zulassung des Segways scheitert an den Bau- und Betriebsvorschriften der StVZO und daran, dass die StVO dem Fahrzeug keine Verkehrsflächen zuweist.... Trotzdem initiiert das Bundesministerium für Verkehr einen Pilotversuch mit wissenschaftlicher Begleitung, bei dem Mitarbeiter des Ordnungsamtes Neuenkirchen sowie Polizeibeamte der Stadt Saarbrücken Segways auf Fußgängerverkehrsflächen erproben...

Polizisten in Saarbrücken fahren Segway
Polizisten bei der Segway-Schulung

Für den Vollzug verkehrsrechtlicher Vorschriften sind im übrigen ausschließlich die Bundesländer zuständig. Diese haben große Bedenken gegen das Fahrzeug, weil sie Konfliktsituationen mit anderen Verkehrsteilnehmern befürchten.... Die Länder können aber jederzeit Ausnahmegenehmigungen zum Betrieb von Segways erteilen."

Also schreibe ich an Landesverkehrsminister Dr. Austermann. Er läßt Herrn Karl-Werner Schunck (Abteilung VII 42: Straßenrecht, Verkehrsrecht, Verkehrssicherheit) antworten:  "Auch ich bin von den günstigen Einsatzmöglichkeiten des innovativen Gerätes überzeugt. Ich habe mich deshalb trotz vielfacher Bedenken der betroffenen Fachbereiche dafür verwendet, dass ein Pilotversuch des Bundes durchgeführt wird....Dem Segway fehlen ein Sitz (§35a Abs. 1 StVZO) und die Voraussetzungen für Bremsen (§ 41 StVZO)... Der Segway begegnet auch dann erheblichen Verkehrssicherheitsbedenken, wenn er mit einer Höchstgeschwindigkeit von 6 km/h eingesetzt wird... Es ist ungeklärt, wie das Fahrzeug fahrerlaubnisrechtlich zu behandeln ist...Wegen der offenen Fragen und der negativen Haltung von Bund und Ländern sehe ich keine Möglichkeit für das Forcieren der Zulassungsfähigkeit des Segway HT.... Es bestehen auch keine Grundlagen zur Erteilung einer Ausnahme....Ich bedauere, Ihnen keine andere Mitteilung geben zu können..."

Fazit

Der Regierungsvertreter "ist von den günstigen Einsatzmöglichkeiten überzeugt", sieht aber keine "Möglichkeiten für das Forcieren der Zulassungsfähigkeit". Politiker, die Mobilitätsoffensive und Technologieförderung zu den erklärten Zielen ihrer Politik ausrufen, lassen gleichzeitig innovative Fahrzeugkonzepte an veralteten Bau- und Betriebsvorschriften scheitern. Kein Wunder, wenn sich unsere Stillstandsrepublik zum Schlußlicht entwickelt.

Weltweit fährt eine fünfstellige Anzahl an Segways regelmäßig im öffentlichen Verkehr, ohne dass dies ein Problem für die Verkehrssicherheit darstellt. Die Mehrzahl der europäischen Nachbarländer erlaubt die Segway-Nutzung. In Deutschland unmöglich, da "die Straßenverkehrsordnung dem Fahrzeug keine Verkehrsflächen zuweist". Bei Sightseeing-Touren in Wien, Paris, Amsterdam und Stockholm gleiten Besucher völlig legal auf Segways durch die Stadt. In Berlin wären sie kriminelle Straftäter.

Nachtrag

Ende September 2005.  Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft hat die Beschlagnahme aufgehoben und das Strafverfahren gegen die Auflage, €200 an die Landeskasse zu überweisen, eingestellt. Und nach mehreren erfolglosen Versuchen fand ich eine Versicherungsagentur, die meinen Segway als Mofa einstuft und unter Vertrag nahm. Ich fahre also wieder und das mit einer Haftpflicht-Versicherung gemäß §1 Pflichtversicherungsgesetz und offiziellem Versicherungskennzeichen!


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